Freitag, 12. Oktober 2012

Ich war gestern während des CT noch wie in Trance. Die einzelnen Arbeitsschritte waren viel zu schnell. Aber trotzdem musste ich nichts mehr als einmal wiederholen. Ich hatte Glück und bin gespannt, ob die Transplantation tatsächlich zustande kommt. 60 Prozent überleben, sagt Karin. Ich hatte gehofft, die Rate ist höher. Die Zahl ist beunruhigend.

Da hatten sogar die Reanimationen, an denen ich beteiligt war, eine höhere Erfolgsrate. Reanimationsprotokolle, wenn ich sie selbst schreiben musste, waren mit Abstand das Härteste, was ich schreiben musste. Besonders, wenn sie nicht geglückt waren. Das Papier war durchnummeriert und durfte nur in seiner originalen Form genutzt werden. Korrekturen waren weitgehend unzulässig, egal wie viele an dem Einsatz beteiligt waren.

Ein bisschen erinnert mich das an den Blaster nach zehn Minuten, wenn dann nix mehr geht. Plötzlich liegt das gleißende Licht der Öffentlichkeit drauf, den Staatsanwalt wie auch sonst immer ständig im Nacken. Nähe? Näher geht kaum, nicht mal in der Anflutungsphase der Psychopharmaka in der Geschlossenen mit Vernichtungserleben.

Das gesprochene Wort ist schon etwas Wunderbares. Ich schöpfe daraus genau das Maß an Distanz, durch das ich mich geschützt fühle.

Anja sagt, dass ich mit der Bearbeitung des gesprochenen Wortes Schwierigkeiten hätte und es nur unbearbeitet weiterleite. Ich glaube, Ursprünglichkeit ist das höchste Maß an Nähe, das ich zuzulassen bereit bin. Mich wegen der Bearbeitung mit dem Urheber auseinanderzusetzen, fällt mir schwer. Eher lasse ich Inhalte weg. Im Journalistendeutsch geht das ja, da bin ich weniger involviert, so dass mich jedes Weglassen von Inhalten nicht zusätzlich belastet. Aber auch wenn ich sie nicht weglasse, garantiert das noch lange nicht, dass sie auch wahrgenommen werden. Und wenn sie wahrgenommen werden, ahnt der Leser nur in den seltensten Fällen genau den Kontext, in den ich sie einzuordnen versuche.

Leo will dieses Wochenende nach London. Sein Vater befürchtet, dass für ihn dort ein Wahngebäude zusammenbricht oder dass er im Hafen verschwindet oder beides.

Kontext ... Wann kann ich tatsächlich von Kontext, von Nähe, sprechen? Wie dicht muss der Merkmalsinhalt sein, den ich beschreibe, damit er reproduzierbar wird? Und wenn die Merkmalsdichte tatsächlich so hoch ist, dass ein Bruchteil des Kontextes zu ahnen ist, in dem ich die Merkmale erlebe, ist der Text dann so noch lesbar? Lässt "analoges Lesen" eine derartige Dichte überhaupt zu? Das kann doch nicht mal die sparsamste Hypnose, die mit einem Minimum an Suggestionen auszukommen versucht. Jetzt wird es schon wieder abstrakt. Rapport ... Also Leo hat Videos gesehen, selbst Videos plaziert und Interaktionen wahrgenommen, denen er nachgehen will. Was kann im Londoner Hafen schlimmstenfalls passieren? Das Leben als Krimi.

60 Prozent sind verdammt wenig. So ein Kack. Hab Lust den Job an den Nagel zu hängen. Sogar bei Mutters Lyse war die Überlebensrate höher. 90 Prozent. Trotzdem war ich bis hin zur einlaufenden Psychose trotz Risperdal geschlaucht. Ich wäre gern belastbarer. Auch ohne Risperdal.

Bin schon wieder bei Ninas Fragen zur effektiven Suizidprophylaxe bei maximaler Distanz. Selbstschutz ist verdammt wichtig. Auch der vor Selbstvorwürfen postum.

Duschen. Gleich ruft Anja wegen der Winter-Disy an.

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