Dienstag, 13. November 2012

Christiane hat mich gefragt, ob ich um 8 komme und Auto fahre. Hab beides abgelehnt. Ich habe Angst davor, vor halb 10 in der Straßenbahn zu sitzen. Das mag unverständlich klingen. Aber seitdem ich mich durchgesetzt habe, brauche ich monatelang kein Loperamid mehr zu kaufen und steige nur noch zwei-, dreimal im Monat am Schillerplatz aus, weil ich es die zwölf Minuten in der Bahn nicht aushalte. Inzwischen habe ich auch keinen Ehrgeiz mehr, ein Auto zu steuern. Grad hat mich jemand aus Gröditz bei Lablue angesprochen. Er will sich tatsächlich mit mir treffen nur um in die Sauna zu gehen. Hab ihm gedroht, dass ich kein Auto habe. Tim macht grad Fahrschule. Er will fahren. Als er geboren wurde, wollte ich Auto fahren können, bin dann auch zehn Jahre viel gefahren, bis dann plötzlich die Ellenbogen zu zittern begannen und das Lenkspiel kaum noch kontrollierbar war. Seitdem habe ich die Lust am Fahren verloren. Mich gezielt entspannen zu müssen, strengt mich an. Ich will aufgeregt sein können, wenn ich aufgeregt bin. Inzwischen halte ich es sogar in der Bahn aus ohne zu telefonieren, zumal Vater und Mutter oft aufzulegen vergessen und Nina nicht angerufen werden mag. Stattdessen höre ich irgendwelche klassische, bedeutungsschwangere Musik oder Hörspiele und Buchlesungen, so dass die zwölf Minuten schnell vergehen. Stephan hat das amerikanische Präparat inzwischen abgesetzt. Er war damit unzufrieden. Albrecht, mein Ex-Chef, hat mir einen Telefon-Interview-Termin geben lassen und sogar ein Pressefoto geschickt. Ich kann mir das Gespräch noch nicht vorstellen, nur dass ich garantiert extrem aufgeregt sein werde. Mindestens so aufgeregt wie in dem Moment, als Kauli Azzuro auflegte und das ganze Wahngebäude plötzlich wieder vor mir entstand. Gläsern zu sein, beruhigt mich nur selten, auch wenn ich dann für mich selbst ebenfalls gläsern bin. Es ist alles so wirr. Anja will am Montag in Druck gehen. Bis dahin habe ich garantiert noch kein Schamanenfoto. Mirco Meinel hat vorhin sogar zurückgerufen. Ein eigenartiger, extrem dichter Tag. Ob ich ein anderer Mensch bin, seitdem ich bewusst Weißbrot und Fleisch esse? Der Tag scheint planbarer zu werden. Ich habe weniger Hunger. Oft kann ich sogar bis auf ein Kilo genau mein Gewicht vorhersagen. Es wird vielleicht überschaubarer. Ich habe aber noch eine Zucchini im Kühlschrank, die Zeitbombe erster Ordnung. Damit im Bauch kann ich kaum die Wohnung verlassen. Nicht mal Telefoninterviews sind damit planbar. Trotzdem kaufe ich sie immer wieder. Mit jedem Mal hoffe ich ein Stück näher an dem dran zu sein, was da in mir passiert und es vielleicht doch steuern zu können. Anastasia hat mit ihrem Handicap sogar Konzerte geben können. Heute war in einem Eventbericht von Gurkenragout die rede. Ausgerechnet das, was ich am schlechtesten vertrage, mag ich am meisten. Aber Lakritze, Rotwein und Blutwurst zu kombinieren war bislang das mit Abstand eindrucksvollste. Ich war so aufgeregt, dass ich fast an der Lakritze erstickt wäre. Das wäre eine komische Leiche geworden. Und ich habe in keinem Moment darüber nachgedacht, ob die Brille überhaupt noch fürs Autofahren taugt. In der Stadt müssten die Ellbogen vielleicht noch fest genug sein. Wo beginnt Autismus? Beim Blasten? In dem Moment, in dem man sich verbietet in Gedanken zu sein? Thorsten Otto hatte heute Heinz Ratz eingeladen. Dem hat ein Zuhörer tatsächlich gesagt, dass er wegen einem seiner Lieder weiterleben mag. Vielleicht höre ich mir den mal an. Irgendwann. Wenn ich dann meine erste Verstopfung habe vielleicht. Obwohl dann biete ich lieber Christiane an um 8 zu kommen, statt Ratz zu hören.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen