Sonntag, 12. August 2012

Bahrs Einlassungen zum lebensverkürzenden Tavor-Einsatz sind beunruhigend.

Tavor-Gabe und aktive Sterbehilfe voneinander abzugrenzen, ist im Einzelfall wahrscheinlich schwer. Was wäre es schlimmstenfalls? Totschlag oder doch schon Mord?

"Gibt es Zahlen zur stationären im Verhältnis zur Gesamtmortalität von Betroffenen mit den folgenden Störungen nach ICD-10?", habe ich das Statistische Bundesamt gefragt.

F00-F09 Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen
F10-F19 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
F20-F29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
F30-F39 Affektive Störungen
F40-F48 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
F50-F59 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren
F60-F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
F70-F79 Intelligenzminderung
F80-F89 Entwicklungsstörungen
F90-F98 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
F99 Nicht näher bezeichnete psychische Störungen

Die ICD-Nummer steht dann ja auch auf dem Totenschein. Traumhaft wäre es, dabei den zeitlichen Zusammenhang mit der Gabe von Tavor und anderen Wirkstoffen rekapitulieren zu können. Eine Dokumentationspflicht für Verordnungen und ihren Zeitpunkt müsste ja vorliegen.

Ein psychiatrieerfahrener in der Pharma-Industrie arbeitender Chemiker erklärte mir 2008, wie psychopharmakologische Wirkstoffe tierexperimentell getestet werden: Die Atemdepression ist beabsichtigt, denn der Wegfall der Sniffing-Reaktion bei der Laborratte ist Maß für ihre Wirksamkeit. Die Grenze zwischen normalem und stereotypem Schnüffeln ist aber schwer skalierbar.

Dass Zyankali, ein seinerzeit breit eingesetztes Rattengift, auch in Auschwitz in dann höherer Dosierung eingesetzt wurde, ist vielleicht noch bekannt. Zyankali greift auch in die Atmung ein und zwar in die innere Atmungskette. Ein schnelles und damit lautloses inneres Ersticken war das damalige Ziel der Anwender.

Pulsoxymetrie ist auch heute in der Psychiatrie unüblich, lediglich in einer Uniklinik Stroke Unit ist sie mir dieses Jahr kurzzeitig aufgefallen. Dabei konnte ich aber auch nicht sehen, wie das Signal weitergeleitet oder ausgewertet wurde. Denn was nutzt einem Somnolenten ein Monitor?

Schade, dass es zwischen dem rezeptfreien Neurexan und dem harten Geschoss Tavor so wenige Wirkungsabstufungen gibt.

Biochemiker scheinen Wirkstoffe willkürlich systematisieren. Die Einen nennen sie Insektizide, die Anderen Psychopharmaka. Schaust du auf die Strukturformeln, staunst du über Parallelen. Letztendlich ist der Einsatzort namensgebend. Dass in der Generationsfolge des Psychiatriebetroffenen dann als Nebenwirkung Effekte auftreten, die beim Insektizid ursprünglich beabsichtigt waren, ist für den Betroffenen, um nicht zu sagen Erfahrenen, mehr als ärgerlich.

Aber das Problem ist alt. Das erste Mal, dass ich persönlich über Parallelen zwischen Mensch und Insekt nachdachte, war bei der Einführung des Genmais made by Monsanto in Europa. Damals brach die Generationsfolge bei einem Schmetterling, dem Admiral, durch Genmais vollständig ab. Will sagen, es kam nicht wie unter dem breit eingeführten Carbamazepin zu Missbildungen sondern zum vollständigen Fruchttod.

Aber darüber nachzudenken, was das Verspeisen von Genmais für den Menschen von heute bedeutet und was sich damit für die Psychiatrieerfahrenen von morgen ergibt, ob vielleicht in den Pharmaindustrielaboren der Zukunft der Abbruch der Generationsfolge psychopharmakologisch programmiert wird, mag ich nicht vorhersagen. Fakt ist, dass Körperverletzung in der Psychiatrie schwerer nachweisbar ist als in anderen Fachgebieten.

Puh, hab kalte Füße: Hab dem Statistischen Bundesamt die Anfrage geschickt ohne vorher eine Kopie zu machen. Das wird sowieso nix.

Ein Schuss in den Ofen wie die Anfrage an Hoppe nach Gremien zur beruflichen Rehabilitation. Aber die hatte sowieso keinen Sinn, zumal er nur "Schreiben Sie der DGPPN", geantwortet hat und kurz danach gestorben ist. Jetzt habe ich ein Stück Altpapier mit seiner Unterschrift. Ich kann das berühren, was ein Inzwischen-Toter angefasst hat.

Es ist alles so ausweglos. Bevor ich mich an jemanden herangetastet habe, ist er nicht mehr erreichbar. Aber vielleicht ist das bei einem Bundesamt anders als bei einer Kammer. Hauptsache, es kostet nichts. Es soll ja nur ein Artikel werden und keine Doktorarbeit.

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