Sonntag, 17. Juni 2012

1997 kam ich an einem Freitagabend gegen 18 Uhr zur Prämedikationsvisite zu einer Patientin. Sie hatte drei Stunden auf mich gewartet. Ich war so lange im OP. Zuvor hatte ihr die medizinisch-technische Assistentin beim Lungenfunktionstest erklärt, dass sie mit ihren Werten nicht mehr leben würde. Entsprechend fiel die Begrüßung der vierfachen Mutter für mich aus: "Und Sie bringen mich also am Montag um?" Ich war verunsichert und wollte den Oberarzt hinzurufen, erreichte aber niemand. Ich bekam Angst und agierte immer konfuser. Mein Aktionismus gipfelte in einem Anruf beim damaligen anästhesiologischen Chefarzt, wo sich lediglich ein Anrufbeantworter einschaltete, auf den ich irgendwas drauffaselte. Außerdem suchte ich Musik aus, die während des Aufwachens im Saal erklingen sollte. Erregt, wie ich war, entschied ich mich für Karanga aus Once were Warriors. Am OP-Morgen ging ich in der Hoffnung, jemanden zu erreichen, ins Sekretariat, argumentierte aber noch verworrener als auf dem Anrufbeantworter. Meine Argumentation gipfelte in dem Gleichnis "Ich bin die Müllerstochter und kann kein Stroh zu Gold spinnen", zumal ungünstigstenfalls 15 Minuten Wartezeit für die Chirurgen entstünden, falls mein Co. die Narkose nicht mit mir tauscht und ich die Einleitung ablehnte. Der Chefarzt erschien gemeinsam mit der Personalchefin. Beide erklärten, ich sei nicht ok und solle mich krankschreiben lassen oder werde vom Dienst suspendiert. Dem folgten mehrere Monate Psychiatrie, beginnend in einem Raum ohne Klinke, der Einstieg in eine bis heute anhaltende Psychiatrie-Karriere. Angesichts der bereits damals von mir als gewaltsam erlebten Isolation, beschloss ich Zwangspsychiatrisierte nach ihren Erinnerungen zu befragen, um mit einer Veröffentlichung der Dokumentation zu einem veränderten Umgang mit Psychiatrie-Erfahrenen zu gelangen. Auslöser meines damaligen Handicaps war, dass ich keinen Teilzeitarbeitsvertrag bekam. Ich hatte dadurch keine Zeit mich zu entspannen, nachdem mein Au pair gekündigt hatte.

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